8) Fasten heilt und Fett schürt das Krebsrisiko
Anders als bei uns ist Heilfasten in Russland zentraler Bestandteil der Gesundheitspolitik und wird staatlich finanziert. Fasten wird verordnet bei Diabetes, Bluthochdruck, Rheuma, Allergien, Asthma, psychischen Störungen und anderen Erkrankungen. Statt Pillen bekommen die Patienten eine Nulldiät bestehend aus Wasser. Je nach Schweregrad der Erkrankung wird 10 bis 40 Tage in Kliniken unter ärztlicher Aufsicht auf Staatskosten gefastet. Verschiedene Anwendungen wie Massagen, Leibwickel, Einläufe, Sauna und Bewegung machen das Fastern erträglicher. Russische Ärzte forschen schon seit Jahrzehnten über die therapeutische Wirkung des Fastens und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Leider wurden diese in russischer Sprache veröffentlicht und sind daher der westlichen Medizin wenig zugänglich. Nach den russischen Patientenstudien sollen nach einer oder mehreren Fastenkuren bei 2/3 der Patienten die Symptome verschwunden oder deutlich besser geworden sein. Durch die Arbeit mit tausenden von Patienten gehen die russischen Ärzte davon aus, dass Fasten einen Streßzustand im Körper aktiviert, durch den die Selbstheilungskräfte mobilisiert und Botenstoffe ausgeschüttet werden, die eine entzündungshemmende Wirkung haben.
Heilfasten wirkt nachweislich bei rheumatischen Erkrankungen
Heilfasten wird auch in Deutschland praktiziert, hat sich aber noch nicht als Standardtherapie durchgesetzt. Das älteste Fastenzentrum in Deutschland ist die Buchinger Klinik in Überlingen am Bodensee, die auch im Ausland einen guten Ruf genießt. Jährlich fasten hier mehrere tausend Menschen bei 500 kcal am Tag, die über eine leichte Suppe und Saft verabreicht werden. Die Fastenkuren dauern zwischen einer und drei Wochen. Nach Prof. Andreas Michalsen, Chefarzt für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin und Professor für Klinische Naturheilkunde an der Charité, liegt die beste Evidenz zur Wirkung des Heilfastens derzeit bei rheumatischen Erkrankungen [1]. Dies wurde in mehreren randomisierten Studien und einer Metaanalyse gezeigt. Der Effekt war über mindestens ein Jahr nach Beenden des Heilfastens nachhaltig, allerdings wurde die Ernährung der Probanden nach dem Fasten auf vegetarische Kost umgestellt. Dies könnte mit zum Erfolg beigetragen haben.
Fasten aktiviert einen uralten genetischen Schutzmechanismus
Valter Longo, ein italienischer Wissenschaftler an der Universität von Südkalifornien in Los Angeles, beschäftigt sich mit der Gerontologie oder Wissenschaft des Alterns. Er untersucht Mechanismen, mit denen sich chronische Alterskrankheiten wie Alzheimer und Krebs hemmen und Alterungsprozesse verzögern lassen [2]. Hierzu prüft er beispielsweise die Wirkung des Fastens auf den Effekt einer Chemotherapie an Nagetiermodellen für Krebserkrankungen. Dabei zeigte es sich, dass Tiere die fasten, eine Chemo- und Radiotherapie besser tolerieren und diese besser wirkt im Vergleich zu normal ernährten Tieren [3, 4]. Nach Forschungsdaten von Prof. Longo aktiviert Fasten einen genetisch programmierten Schutzmechanismus in normalen Körperzellen. Dieser springt an, wenn nur wenig Glukose und andere Nährstoffe zur Verfügung stehen. Wie Prof. Longo im Tierversuch festgestellt hat, scheint bei Krebszellen dieser Schutzmechanismus nicht zu funktionieren, da Genmutationen ihn verhindern. Bei einer Chemotherapie überlebten normale Zellen im Fastenmodus, während die Tumorzellen ohne den Fasten-Schutzeffekt abstarben [3, 4].
Fasten verstärkt die Wirkung der Chemotherapie und lindert Nebenwirkungen
Diese Daten an Mäusen gelten auch für den Mensch, wie eine kleine Studie mit 10 Patienten, die 2009 veröffentlicht wurde, zeigte: Wenn Krebspatienten vor, während und teilweise auch nach einer Chemotherapie bis zu einer Woche gefastet hatten, also nur Wasser zu sich nahmen, wurden Nebenwirkungen der Chemotherapie besser toleriert, weil Müdigkeit, Schwächegefühl, Kopfschmerzen und Übelkeit fast vollständig gehemmt wurden [5]. Gleichzeitig verstärkte das Fasten die Wirkung der Chemotherapie. Mittlerweile werden diese Befunde durch eine holländische, randomisierte Studie der Universität Leiden von 2015 unterstützt [6]: 13 Brustkrebspatientinnen wurden zufällig auf zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe hat kurzzeitig 24 Stunden vor und nach Chemotherapie gefastet, während die andere Gruppe sich gesund mit einer mediterranen Kost ernährt hat. Es zeigte sich, dass Fasten gut vertragen wurde und bei der Fastengruppe weniger toxische Nebenwirkungen im Blutbild zu sehen waren.
Fasten ist eine hoch konservierte Überlebensstrategie im Tierreich
Dieser schützende Energiesparmodus humaner Zellen ist ein uralter, hoch konservierter Überlebensmechanismus, der sich bereits bei Reptilien findet. Meine Schildkröten beispielsweise sind wahre Meister im Energiesparen und überstehen unbeschadet eine 5-monatige Winterstarre bei 4°C im Kühlschrank ohne Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Sie nehmen während dieser Zeit nicht an Gewicht ab und leben quasi nur von Luft und Wasser: wichtig ist, dass die Luftfeuchtigkeit stimmt, mehr benötigen die Tiere nicht. Schildkröten brauchen diese Fastenpause zum Überleben. Wenn sie aus falsch verstandener Tierliebe über Winter wach gehalten werden, leidet ihr Immunsystem, die Gesundheit und ihr Fortpflanzungspotential, sie werden krank und sterben früh. Quer durch das Tierreich gehören Fastenzeiten zum Leben dazu, da Fressen für Wildtiere nicht jederzeit zugänglich ist.
Fastenpausen sind evolutionär auch beim Mensch normal
Auch beim Mensch sind durch die Jahrhunderte Fastenpausen normal. Hippokrates glaubte, dass Kranke fasten sollten, da die Nahrung auch die Krankheit ernähren würde, und Plato ging davon aus, dass Fasten seine körperliche und geistige Effizienz steigern würde [7]. Große Weltreligionen schreiben auch heute noch Fastenzeiten vor – sie wissen seit alters her, dass ständiges Überessen ohne Pause alt und krank macht. In den letzten Jahrzehnten hat der Mensch jedoch seine Kalorienzufuhr ständig erhöht, und der Energieaufwand sank mit der Sesshaftigkeit und Verstädterung. Die Wege wurden kürzer und man ist aufs Auto umgestiegen, statt wie bisher weite Strecken zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück zu legen. Das Ergebnis dieses Nettogewinns an Kalorienzufuhr und Zugang zu einem ständigen Angebot an energiereichen Nahrungsmitteln ist ein metabolisches Ungleichgewicht, das von zunehmendem Fettdepots begleitet wird und zu Übergewicht führt: die Fettablagerung findet aufgrund des Überangebots nun auch außerhalb herkömmlicher Lipidspeicherdepots statt. Dies ist nicht nur ein kosmetisches Problem, sondern vor allem ein gesundheitliches, da der krankmachende Effekt überwiegt [8].
Übergewicht erhöht das Krebsrisiko
Menschen werden als fettleibig definiert, wenn ihr Body-Mass-Index (BMI) 30 kg/m2 überschreitet, und als übergewichtig, wenn sie einen BMI zwischen 25 und 30 kg/m2haben [9]. Neben klassischen Stoffwechselerkrankungen, insbesondere Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen [10], erhöht Fettleibigkeit das Krebsrisiko. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Krebs wurde vor mehr als einem Jahrzehnt festgestellt, wobei das Risiko durch Krebs zu versterben, ab einem BMI von 40 kg/m2um etwa das 1,5-fache erhöht ist [11]. Bestimmte Organe reagieren anscheinend besonders empfindlich, da das Risiko an einem Pankreaskarzinom oder Leberkrebs zu erkranken, bei adipösen Männern sogar um das 2,6- bzw. 4,5-fache erhöht war. Auch adipöse Frauen haben ein 4,8- und 5,3-faches erhöhtes Risiko an einem Nieren- bzw. Darmkrebs zu versterben [12, 13].
Fettleibigkeit fördert Entzündung
Fettleibigkeit löst systemische und metabolische Veränderungen aus, die die Karzinogenese und die Tumorigenese beeinflussen. Fettleibigkeit erhöht das Risiko tödlicher Malignome durch eine Vielzahl pathophysiologischer Veränderungen, allen voran die systemische Entzündung, Insulinresistenz mit hohen Insulin- und Blutzuckerwerten, Ungleichgewicht der Darmflora und Veränderungen des Immunsystems. Krebsarten die auf Fettleibigkeit zurückgehen, gehören zu den Tödlichsten. Schätzungen zufolge werden sie schon bald zu den führenden Killern der Menschheit zählen [8].
Entzündungshemmende Ernährung als Gegenmaßnahme
Die Lösung scheint eine entzündungshemmende Ernährung zu sein, die den großen Vorteil einer kostengünstigen und nebenwirkungsarmen Therapie bietet. Dazu zählt auch eine medikamentöse, entzündungshemmende Behandlung, zum Beispiel mit Aspirin und anderen nicht-steroidalen Entzündungshemmern (NSAIDs). Dagegen kortisonhaltige Medikamente scheinen einen gegenteiligen Effekt zu bewirken und lassen Tumorstammzellen sprießen [14-16], worüber ich noch ausführlicher berichten möchte. Also: Fasten und eine pflanzen-basierte Vollwerternährung sind angesagt. Eine vegetarische, kohlenhydratreduzierte Ernährung enthält zahlreiche bioaktive Pflanzenstoffe gegen Entzündung und besitzt gleichzeitig eine geringere Kaloriendichte als Fleisch und tierische Fette, was eine Kalorienreduktion bewirkt und trotzdem satt macht.
Referenzen
[1] A. Michalsen, C. Li, Fasting therapy for treating and preventing disease – current state of evidence, Forsch Komplementmed, 20 (2013) 444-453.
[2] V.D. Longo, A. Antebi, A. Bartke, N. Barzilai, H.M. Brown-Borg, C. Caruso, T.J. Curiel, R. de Cabo, C. Franceschi, D. Gems, D.K. Ingram, T.E. Johnson, B.K. Kennedy, C. Kenyon, S. Klein, J.J. Kopchick, G. Lepperdinger, F. Madeo, M.G. Mirisola, J.R. Mitchell, G. Passarino, K.L. Rudolph, J.M. Sedivy, G.S. Shadel, D.A. Sinclair, S.R. Spindler, Y. Suh, J. Vijg, M. Vinciguerra, L. Fontana, Interventions to Slow Aging in Humans: Are We Ready?, Aging Cell, 14 (2015) 497-510.
[3] C. Lee, L. Raffaghello, S. Brandhorst, F.M. Safdie, G. Bianchi, A. Martin-Montalvo, V. Pistoia, M. Wei, S. Hwang, A. Merlino, L. Emionite, R. de Cabo, V.D. Longo, Fasting cycles retard growth of tumors and sensitize a range of cancer cell types to chemotherapy, Sci Transl Med, 4 (2012) 124ra127.
[4] F. Safdie, S. Brandhorst, M. Wei, W. Wang, C. Lee, S. Hwang, P.S. Conti, T.C. Chen, V.D. Longo, Fasting enhances the response of glioma to chemo- and radiotherapy, PLoS One, 7 (2012) e44603.
[5] F.M. Safdie, T. Dorff, D. Quinn, L. Fontana, M. Wei, C. Lee, P. Cohen, V.D. Longo, Fasting and cancer treatment in humans: A case series report, Aging (Albany NY), 1 (2009) 988-1007.
[6] S. de Groot, M.P. Vreeswijk, M.J. Welters, G. Gravesteijn, J.J. Boei, A. Jochems, D. Houtsma, H. Putter, J.J. van der Hoeven, J.W. Nortier, H. Pijl, J.R. Kroep, The effects of short-term fasting on tolerance to (neo) adjuvant chemotherapy in HER2-negative breast cancer patients: a randomized pilot study, BMC Cancer, 15 (2015) 652.
[7] P. Cathcart, C. Craddock, J. Stebbing, Fasting: starving cancer, Lancet Oncol, 18 (2017) 431.
[8] J. Font-Burgada, B. Sun, M. Karin, Obesity and Cancer: The Oil that Feeds the Flame, Cell Metab, 23 (2016) 48-62.
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[16] A. Abukiwan, C.C. Nwaeburu, N. Bauer, Z. Zhao, L. Liu, J. Gladkich, W. Gross, A. Benner, O. Strobel, J. Fellenberg, I. Herr, Dexamethasone-induced inhibition of miR-132 via methylation promotes TGF-beta-driven progression of pancreatic cancer, Int. J. Oncol., 54 (2019) 53-64.
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